HYDRA: Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt 2019
Soft Sculptures, Schuluniformen, Skischanze und Sao Paulo; wir stellen Euch vier der Goldrausch Künstlerinnen vor
Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt zeigt aktuell noch bis 8. Dezember 2019 in der Ausstellung Hydra – Goldrausch 2019 im Haus am Kleistpark die Arbeiten von 15 aufstrebenden, internationalen Künstlerinnen.
Die mythologische Figur der vielköpfigen Wasserschlange dient dabei als Metapher für den Widerstand gegen patriarchale Denkmuster. Es gilt, die Hydra mitsamt all ihrem Netzwerk-Potential positiv umzudeuten.
In Auseinandersetzung mit den Räumen der kommunalen Galerie sowie mit vielschichtigen zeitgenössischen Kunstdiskursen präsentieren die Künstlerinnen ihre Arbeiten in den Medien Malerei, Zeichnung, Performance, Installation, Skulptur, Video sowie Sound.
Es ist bereits die 29. Jahrgangsausstellung des Goldrausch Künstlerinnenprojekts, welches seit 1989 die Professionalisierung von jährlich 15 Bildenden Künstlerinnen durch ein vielseitiges Weiterbildungsangebot zum Ziel hat. Gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Pflege, Gleichstellung und Gesundheit und dem ESF bietet das Programm Künstlerinnen berufspraktisches Wissen und tragende Netzwerke – für Sichtbarkeit und Öffentlichkeit.
Dabei wird stets auch vermittelt, dass Erfolg viele Gesichter haben kann, ganz in Parallele zur Hydra.
Intro Statement von Kira Dell und Hannah Kruse
Marlene Denningmann | DRESSCODE UNIFORM
Liebe Marlene Du hast für Dein Projekt, für das Du nach Kapstadt gereist bist, nicht nur den popkulturellen Einfluss von Schuluniformen, sondern vor allem auch das Ausloten der Grenzüberschreitung des Status Quo, des Erlaubten untersucht.
Als Form der Auflehnung gegen restriktive Strukturen die an den Schulen und damit von der Gesellschaft vorgegeben werden, erscheinen Schuluniformen allein schon visuell als ein ultimatives Instrument des Protests. Ich meine sie laden, ja fordern fast auf die Regeln zu brechen?
Die Kombination Teenager und eine Schuluniform scheint mir ein geradezu genüsslicher Blueprint für Rebellion?
Das war auch meine Frage, denn ich bin ja ohne den Alltag mit Uniform aufgewachsen und kenne sie nur aus Filmen. In meinen Interviews haben mir viele Kids davon berichtet, als Grundschülerinnen noch stolz auf die schicke Uniform zu sein: man fühlt sich erwachsen und ernst genommen. Während Teenagerinnen ja eher damit beschäftigt sind, die gesellschaftliche Erwartung angepassten Verhaltens zu hinterfragen. Eine Schülerin beschrieb das so:
„Die Schuluniform dient der Schule als Markenzeichen. An manchen Tagen möchtest du deine Schule aber vielleicht nicht repräsentieren. Dann machst du dich auf den Heimweg, trägst diese Uniform und denkst: Ich halte mich heute mit besonders guten Taten zurück, die zum guten Ruf der Schule beitragen würden!“
Auch ich durfte übrigens für mein Projekt keine Originaluniformen filmen. Obwohl die Schule, von der meine Workshop-Teilnehmer*innen kamen, mich sehr unterstützt hat, wollte man keinen Imageschaden riskieren. Das fordern auch wiederum Eltern ein – die Institution Schule ist da ein interessanter Mikrokosmos, in dem sich die ganze Gesellschaft spiegelt.
Was Dich zu Anfang dazu bewegt dich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Meine Faszination galt anfangs der Wiederaneignung formeller Kleidung als typische Geste der Subkultur, angefangen bei den „Teddy Girls“ der 50er.
Im Falle der Schuluniform wurde diese spätestens mit Britney Spears eine feste Größe im Alphabet des Pop. Die Szenen mit den zwei Schülerinnen in DRESSCODE UNIFORM, die mit ihrem Styling alle Regeln brechen, sind daran angelehnt – ein Moment des Empowerment droht ständig in leere, modische Posen zu kippen.
Eine der Protagonistinnen trifft es ganz gut, wenn sie im Video fragt: „Are we instagram enough“?
Welche Eindrücke sind während deines Aufenthaltes in Kapstadt und im Austausch mit den Schülerinnen besonders hängen geblieben bei dir?
Nie vergessen werde ich den Tag der Wahl von Trump zum US-Präsidenten, der in meine Zeit in Kapstadt fiel. In diesem Schock habe ich andererseits auch einen länderübergreifenden Zusammenhalt gegen Marginalisierungs-Politik gespürt. Besonders die parallele Arbeit mit den Schüler*innen hat mich inspiriert.
Sie sollten im Workshop ein Personenportrait beschreiben, auf das sie nicht vorbereitet waren – der Moment des Erkennens der jugendlichen Aktivistin Zuleikha Patel war mit so einer spürbaren Begeisterung verbunden! Patels Protest gegen die Haarvorschriften an ihrer Schule hat über Social Media weltweite Aufmerksam auf versteckten Rassismus an Schulen gelenkt:
Afrikanische Frisuren wie Afros und Braids galten an vielen Einrichtungen als nicht „prim und proper“ (sauber und ordentlich) oder als „attention seeking“.
Sie wurden getadelt, verboten und manchmal bestraft. Die von Patel initiierten Proteste griffen auf andere Schulen über. Sie haben zu öffentlichen Diskussionen und schließlich zu inklusiveren Schulordnungen geführt. Ich habe in den Gesprächen über diese und andere Aktionen – z.B. auch gegen geschlechterstereotype Vorschriften – eine sehr reflektierte, informierte Generation kennengelernt, die neben klassischen Popstars ihre Idole in Aktivistinnen, Kämpferinnen und Denkerinnen findet.
Melo Börner | XOXO
Der Kontrast zwischen deiner Installation und den Soft Sculptures in der HYDRA-Ausstellung, deren DIY Ästhetik große Zerbrechlichkeit und Zärtlichkeit ausstrahlt, zu Deiner Punk Band ‚Short & Pregnant’ könnte nicht größer sein, oder stellen sie einfach nur sehr unterschiedliche Ventile dar?
Auf einer Bühne zu stehen und zu singen, im Atelier Skulpturen zu entwickeln oder Performances zu machen unterscheidet sich nur auf den ersten Blick. Für mich sind es keine unterschiedlichen Ventile, sondern eher verschiedene ‚Materialien’ mit denen ich arbeiten kann. Sie finden an unterschiedlichen Orten statt und werden deshalb häufig getrennt voneinander rezipiert und bewertet.
Die Zerbrechlichkeit und Zärtlichkeit, die du ansprichst, ist immer Teil davon.
Die Band ist wie eine ‚Real’-Version meiner Arbeit – Punk kann sehr laut, hart und dreckig sein. Für mich gehört dazu auch immer eine verletzliche Seite, der Wunsch, Emotionen auszudrücken.
In meinen Arbeiten geht es genau um die Diskrepanz zwischen dem Äußeren, dem Harten, oder Coolen und dem Inneren, oft verletzlichen, oder ängstlichen.
Das zuzulassen und zu zeigen kann ich in den Installationen, Skulpturen und der Musik.
Im Katalog gibt es einen Text von Laura Dee Milnes, ’Traces of your art in me, fragments of my thoughts in you’ – der Rhythmus, die Bilder des Textes folgen aufeinander ohne Punkt und Komma, roh, ungefiltert, pur und direkt – wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Ich kenne Laura aus meinem Studium am Royal College of Art in London.
Wir beschäftigen uns mit ähnlichen Themen wie Repräsentationen von Körper und Weiblichkeit.
Ich bat Sie deshalb über meine Arbeit zu schreiben.
Tell us about your ‚Alien creatures’:
Die ‚Alien creatures‘ sind Figuren, die ich 2017 als eine Serie von Zeichnungen entwickelt habe. Sie sind das, was wir vor uns selbst verstecken wollen, der Blick von außen, oder ein Blick von ganz innen. Sie sind immer etwas fehl am Platz.
Gerade arbeite ich an der Performance „trigger phantom dance“, die ich am 1.12. um 17:30 im Haus am Kleistpark zeigen werde und die die ‚alien creatures’ als Ausgangspunkt haben.
Ana Hupe | WOMEN OF THE FOURTH WORLD
In deinem Projekt ‚Women of the Fourth World’, für das Du sehr viel gereist bist und recherchiert hast, geht es um Displacement von Menschengruppen, die auf die eine oder andere Art gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen.
Gleichzeitig wird die spirituelle Achse und die Bedeutung der Frauen, die sich im Fremden, also der Terra Incognita zu einer Gemeinschaft zusammengefunden haben, um aus dem Schatten „der Anderen“ herauszutreten, der natürlich ein Konstrukt der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist, umso schärfer.
Für einen Außenstehenden klingt das sicher erst einmal fremd. Was hat Dich inspiriert diese Reisen anzutreten und dich in dieses schwierige Feld zu begeben?
‘Women of the Fourth World’ habe ich 2017 gemacht: eine Ausstellung, die gleichzeitig in Berlin und in Sao Paulo stattfand. In Berlin habe ich mit 25 lateinamerikanischen Frauen geredet; in Sao Paulo mit 22 afrikanischen Frauen.
Diese Frauen haben durch die Plattform der Ausstellung „kommuniziert“. Es gab eine 2-Kanal-Video-Installation, wo sie sich getroffen haben – nicht im literarischen Sinn, aber sie standen in den Videos nebeneinander, mit der Stadt im Hintergrund – in Schwarz-Weiß, Berlin und Sao Paulo sind auf demselben Planeten. Sie haben alte Texte über die Rolle latein-amerikanischer und afrikanischer Frauen vorgelesen und kommentiert. Texte, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden und die irgendwie das Bild von diesen Frauen bis heute wiederspiegeln.
Um kurz und subtil zu erklären, was für ein Bild das ist, zitiere ich die Arbeit der Künstlerin Santarosa Barreto: „Are you Brazilian? Oh, I love Brazilian women!“
Ich bin selbst Migrantin in Deutschland, das war sicherlich meine Inspiration.
Ich wollte mich den Migrationserfahrungen dieser Frauen annähern, wir haben gemeinsam ein Gefühl von Verdrängung (displacement):
wir gehören nicht zu dem Land, in dem wir wohnen und nicht mehr zu dem Land, das wir verlassen haben.
Ich glaube, in der Anthropologie nennt man das „Third Zone“, ich wollte mit diesen Begriffen wie „First World“ versus „Third World“ und „Third Zone“ spielen, deswegen „Fourth World“.
Eine hypothetische Frage, die mir spontan einfällt, ist, wenn Du dieses sehr dichte Geflecht der verschiedenen Elemente, die du hier bearbeitest in verschiedene Teile zerlegen müsstest, welche wären dies?
Ich gehe davon aus, dass die Frage sich auf die Arbeit ‚Footnotes for a triangular Cartography’ bezieht, die Arbeit, die in der Ausstellung Hydra – Goldrausch 2019 zu sehen ist. Das Dreieck hier ist die Verbindung zwischen Brasilien, Nigeria und Kuba durch die Kultur, Mythologie und Religion der Yoruba. Der Anfang dieser Geschichte ist sehr klar: die Kolonisation.
Während der 350 Jahre der Sklaverei sind sehr viele Yoruba nach Brasilien und Kuba gebracht worden. Trotz aller Bemühungen, die Subjektivität dieser Menschen zu zerstören: Sie haben es geschafft, ihre Religion weiterhin zu praktizieren. Santería in Kuba und Candomblé in Brasilien sind einige der Religionen, die Yoruba-Wurzeln haben.
Die Fußnoten, die in der Ausstellung beschrieben sind, sind Fußnoten des Widerstands – wenn wir Widerstand verstehen als das, was gegen das hegemonische politische, ökonomische und eurozentrische System ist.
Wo fängt die Geschichte an und wo endet sie? Ist das überhaupt möglich?
Die Intoleranz, die heute noch gegen diese Religionen und Mythologien des afrikanischen Volkes besteht, ist nur eine der vielen verbliebenen Spuren der Kolonisation.
Wenn wir uns das Ende des Kapitalismus – ein anderes, aktualisiertes Wort für Kolonisation – nicht vorstellen können, dann können wir auch kein Ende für diese Vorurteilsnarrative schreiben.
Die Elemente, die ich in der Arbeit benutzt haben, sind Elemente der Natur, ein Stein der Osun Fluß in Osogbo, Nigeria; Muscheln, die in den Orakeln der Yoruba Religion benutzt werden, die ich aus Havanna mitgebracht habe.
Alle Elemente der Natur sind für die Yoruba-Mythologie heilig: Das Wasser (Olokun, Ìyemojá, Osun…) der Wald (Òsóòsì, Osanyin…), der Wind (Oyá) sind die ‚Gottheiten’.
Eva Dittrich, RELIEF I [Flag, Map, ZOOM, Open Stack], 2019, Foto: Erik Tschernow
Eva Dittrich | RELIEF I
Liebe Eva, besonders ist mir das Ausdehnen, Ausweiten deiner Arbeit aufgefallen, nicht nur in Form der verschiedenen Materialien und Medien die du zeigst, sondern auch die Bewegungsabläufe und Schwünge die als wiederkehrendes Element zu sehen sind.
Da gibt es die Fahne vor dem Haus am Kleistpark, die du gehisst hast, ein riesiger Gleitschirm der einmal frei fallend als Installation, einmal zusammengeknäult, hinter Glas wie ein Artefakt gezeigt wird.
Die zentrale „Dehnung“, die ich in der Werkgruppe ‚RELIEF I’ (2019) bearbeite, ist die, der Zeit.
Der Zoom in ein Bild hinein, ein Gebirgsmassiv auf einem fast schwebenden Gleitschirmtextil, eine Vergrößerung einer Fotografie als Fahne gehisst – für mich Metaphern auf der Suche nach einer Gegenwart und Zugehörigkeit.
In deinen Fotografien sehen wir eine Skischanze mit Blick auf einen Friedhof und ein wunderbares Foto in Schwarz-Weiß, das einen Mann zeigt, der durch die Luft springt.
Der Mann, der durch die Luft springt, ist mein Vater.
Ich arbeite an der gezeigten Werkgruppe seit 2016, sie ist in und nach einem Jahr der Trauer entstanden.
Als ich durch ein Projekt in Innsbruck arbeitete, ist mir diese Besonderheit der Bergisel-Schanze aufgefallen:
die Springer*innen springen in Richtung des Stadtfriedhofs.
Der angehaltene Sprung in der Luft ist ein simples und treffendes Bild dafür, was die Fotografie besonderes kann:
den Moment zu einer Dauer und bis fast ins Unendliche dehnen.
Diese Verzerrung von Zeit ist etwas, was Fotografie und Tod miteinander verbindet.
Motive vom Fallen, Stürzen, aktivem Springen bilden eine Art Kreis, bitte erzähle uns von diesem Kreis.
Ich würde diesen Kreis verlagern:
Erinnern, Erarbeiten, Ermächtigen. Sich aus einer Krise eine Handlungsoption zu erarbeiten.
Aus einer Verletzung eine Stärke zu entwickeln.
Aus einem Zustand des „Aussenseiterseins“, des „Nicht-Normalseins“ hin zu einer neugewonnenen Subjektive.
HYDRA – GOLDRAUSCH 2019
25. Oktober–8. Dezember 2019
Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr
PERFORMANCES
Melo Börner, trigger phantom dance
1. Dezember 2019, 17.30 Uhr
Treffpunkt: Eingang Haus am Kleistpark
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Haus am Kleistpark | Berlin
Header Image: Cape Town (SA), workshop film still, 2016 – Marlene Denningmann
Author: Esther Harrison