Jenseits des Sichtbaren #1
Lange haben ich dem Dokumentarfilm „Jenseits des Sichtbaren“ über die schwedische Malerin Hilma af Klint (1862-1944) entgegengefiebert, der nun ab dem 5. März in den Berliner Kinos anläuft.
Die Pionierin der abstrakten Malerei zählt zweifelsohne zu den wichtigsten und herausragenden Persönlichkeiten und Malerinnen des 20. Jahrhunderts.
Eine Kontaminierung der Seele
Ich erinnere mich, wie gestern daran als ich das erste Mal in Berührung mit ihrer Malerei kam.
Das war in Form einer Postkarte im Haus der Kunst in München.
Ich war schlagartig fasziniert, irritiert und wach.
Dieses Gefühl etwas zum ersten Mal zu sehen und sich trotzdem daran zu erinnern, obwohl das ja eigentlich gar nicht möglich ist, weil man es zum ersten Mal sieht.
Es handelte sich um das berühmte Altarpiece – No 1 – Group X aus dem Jahr 1915.
Als ich damals die Postkarte umdrehte flüsterte ich unbewusst laut fast wie in Trance den Namen laut vor mich hin:
Hilma af Klint.
Klingt alles irgendwie etwas mystisch?
Im Nachhinein betrachtet eigentlich nicht.
Altar pictures, Group X, no. 1. Altar picture, 1915 Oil and sheet metal on canvas 237,5×179,5 cm HAK187 © The Foundation Hilma af Klint’s Works
Denn Hilma af Klints Oeuvre löst alle visuellen, mentalen und spirituellen Grenzen auf und dringt unmittelbar ein.
Wie ein Tropfen Blut der auf ein Stück weißes Gaze tropft. Das Blut breitet sich sofort aus, der Stoff wird durchtränkt und ändert im Bruchteil einer Sekunde seine Farbe. Danach bleiben die Blutspuren für immer ein Teil der Struktur, selbst wenn man den Stoff auswäscht. Genauso ist es mit der Kunst von Hilma af Klint. Eine Kontaminierung der Seele, wenn man so will.
Der Kosmos ihrer Bildern und unzähligen Notizen umfasst Astronomie, Biologie, Theosophie bis hin zur Relativitätstheorie und ist absolut einzigartig. Um ihrer Bedeutung und den vielen Facetten ihrer Gedankenwelt und Kunst gerecht zu werden widmen wir unsere erste große Serie auf coeur er art Hilma Af Klint.
Wir werden unter anderen im Mai nach Malmö ins Museum für Moderne Kunst reisen, die damalige Relevanz besonders für weibliche Künstlerinnen der Theosophischen Lehre beleuchten oder auch die Rolle des Symbolismus und Mystizismus in der Kunst am Beispiel von Hilma af Klint untersuchen.
Den Anfang macht der erste Teil unseres ausführlichen Gespräches mit der Regisseurin Halina Dyrschka, die mit ihrem Dokumentarfilm einen großen Teil dazu beigetragen hat und weiter wird Hilma Af Klint den Platz in der Geschichtsschreibung der Kunst zu geben der ihr gebührt.
Wie wichtig diese Aufarbeitung und Auseinandersetzung ist in Hinblick auf die bisher systematische fehlende Darstellung von Frauen in der Kunst seit der Renaissance kann hier gar nicht stark genug betont worden.
Hilma Af Klints Werk ist darüber hinaus aber aus einem ganz anderen Grund höchst relevant für unsere heutige Gesellschaft:
„Sie hat nicht nur Kunst erschaffen, die ihrer Zeit voraus war, sie hat auch ein Lebensbild vertreten, das bis heute absolut zukunftsweisend ist. Sei es die Gleichheit der Geschlechter oder ihre visionäre Anschauung zu Religion und Spiritualität – hier ist eine Künstlerin, die Bedeutendes zu sagen hat, unabhängig von geschmacklichen Präferenzen oder subjektivem Kunstverständnis.“
Gespräch mit Halina Dyrschka
Liebe Halina, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu dieser wunderbaren Dokumentation über Hilma Af Klints Werk, ihre einzigartige Weise zu Arbeiten und vor allem Ihre außergewöhnliche Sicht der Dinge. Wie kam es dazu, wo fand dieses Projekt seinen Anfang?
Dieses Projekt begann tatsächlich eines Morgens am Cafétisch, beim Aufschlagen der Zeitung. Da stand, die Kunstgeschichte müsse „umgeschrieben werden“ – das fand ich großartig. Solche deutlichen und mutigen Standpunkte werden, wie ich finde, viel zu selten verkündet. Also, meldete ich mich umgehend für die Ausstellungseröffnung von Hilma af Klints Retrospektive in Berlin an. (Hamburger Bahnhof, 2013).
Das dauerte leider noch ein halbes Jahr – aber dann verschlug es mir die Sprache. (Aber nur ganz kurz.) Beim Anblick des Oeuvres war ich hellauf begeistert, aber auch fassungslos: Ich fühlte mich fast persönlich beleidigt.
Wer war um Himmels willen dafür verantwortlich, daß ich von diesem Werk bis dato nichts wußte?
Diese umwerfenden und riesigen (3,60m hohen) Gemälde sollte man übersehen bzw. vergessen haben? Das konnte nicht stimmen! Unmittelbar beim ersten Gang durch die Ausstellung, nahm der Gedanke eines Films Gestalt an.
Ein Archiv und viele Schubladen
Im Film bekommt man eine Ahnung wie umfangreich ihr Nachlass in Form, Farbe und Schrift war und ist. Eine große Herausforderung die vielen Schichten dieser faszinierenden und auch ja fernen Künstlerin filmisch zu erfassen und die Feinheiten zu transportieren. Kannst du uns ein wenig über den Prozess erzählen?
Es war ein höchst spannender Weg, wenn auch natürlich etwas mühsam. Vor allem das Archiv der Hilma af Klint-Stiftung in Schweden, war zu dem Zeitpunkt in großer Unordnung und auch die Stiftung selbst befand sich in einem schwierigen Zustand. Das machte die Kommunikation schwierig.
Es gab interne Uneinigkeit und das schon über Jahre und eigentlich wußte niemand so recht Bescheid, was alles im Archiv war. Aber Johan af Klint war derjenige der mich sehr unterstützte und uns alles zeigte und immer zur Stelle war, sobald wir etwas suchten. Zudem hatte das Museum bei der Ausstellung schon mal alles digitalisiert.
Also, habe ich bei meinem ersten Besuch die Schubladen aufgezogen und nachgeschaut was es da alles gab.
Besonders schön fand ich die Landschaftsgemälde und Aquarelle und die unglaublich bezaubernden Zeichnungen von Kindern, die sie angefertigt hat. Es war ein großes Chaos, das mittlerweile behoben wurde – seit Hilma af Klint sozusagen zum Kultstar avanciert ist.
Über die Kunst (nur) einen Film zu drehen
Dann habe ich auch Schwedisch Unterricht in Berlin genommen. Da ja nicht viel übersetzt war- nur einige wenige Stellen in den Museumskatalogen. Ich wollte zumindest einigermaßen lesen können was da steht. Aber natürlich sind 25.000 Seiten nicht zu schaffen- jedenfalls nicht wenn man den Film noch fertigstellen will.
Aber es gab ja ein paar wenige Kunsthistoriker die sich bereits mit dem Werk beschäftigt hatten. Am interessantesten war auch die Recherche in der Naturwissenschaft. Ich wollte unbedingt die Physik miteinbeziehen- die „welt-umwälzenden“ Entdeckung fielen ja alle in Hilma af Klints Zeit.
Alleine darüber hätte man den ganzen Film füllen können.
Und dann habe ich sehr unsere Drehs in der Natur genossen- am Mälarsee in Schweden, wo Hilma af Klint viel Zeit verbrachte.
Die Natur spielt eine besondere Rolle im Film. Dort fängt alles an – dort begannen die Studien von Hilma af Klint. Ich fragte mich, wie war wohl ihr Blick in die Welt?
Wie schaut jemand, der so sehr versucht das Wesentliche des Seins zu entdecken? Wie kann man das sichtbar machen?
Es war wichtig mit der Wahrnehmung zu spielen. Das man nicht immer sofort weiß, wo man sich befindet oder was man da gerade zu sehen bekommt. Daher auch die vielen Makroaufnahmen oder Spiegelungen.
Jemand der wie Hilma af Klint so unbeirrt seinen Weg gegangen ist, muß einen sehr eigenen Blick in die Welt gehabt haben. Eigen, aber auch sehr konsequent und charakterstark.
Frei vom Ego und offen im Geiste
Wie ging es Dir persönlich bei den Dreharbeiten, in der Auseinandersetzung mit ihren Werken? Mir kamen ein paar Mal die Tränen während ich den Film sah, vor allem bei ihrer absolut einzigartigen Serie von großformatigen Arbeiten „Die 10 Größten“ und dann gab es da auch Gefühle der Unruhe und Sehnsucht in der Lage sein zu erfassen was Hilma Af Klint fühlte und sah?
Das habe ich natürlich erhofft, daß die Zuschauer miterleben können wie es vielleicht hätte sein können, aber vor allem in welchem Sinne das Werk erdacht ist.
Es ging mir vordergründig darum ein Perspektive zu suchen die zeigt wie einzigartig diese Frau war und mit welcher Stärke und Selbstsicherheit sie ihren höchst erfolgreichen Lebensweg ging.
Denn für mich ist es ein Erfolgsmerkmal, wenn man es schafft sich unabhängig von den Meinungen andere Menschen zu machen.
Sicher hatte Hilma af Klint auch Zweifel und sie suchte immer nach einer Person, mit der sie sich austauschen konnte. Das ist ja verständlich. Denn solche Wege sind sehr einsam- wenn man beschließt dies oder jenes zu tun und die Umwelt versteht einen nicht, fühlt man sich alleine – und zwar MIT den Menschen. Auch dazu hat sie ja eine Skizze gezeichnet.
Wenn sich Sehnsucht einstellt beim Zuschauer, dann vielleicht sogar die Sehnsucht sich sein Leben so zu gestalten, wie man es selbst für richtig hält, möglichst frei von seinem Ego und offen im Geiste. Das eröffnet einem wahrlich Möglichkeiten für ein gelungenes Dasein.
Unbekanntes und Unsichtbares Universum?
Würdest Du dich selbst als spirituell bezeichnen, fließt das in Deine Arbeit mit ein? Wie ist Deine persönliche Sicht der Dinge auf die Welt des Unsichtbaren?
Der Film ist meine ganz persönliche Sicht auf das „Universum der Hilma af Klint“ – das aber ganz das unsere ist.
Es ist ja eher so, daß wir uns hier auf diesem Planeten eine Welt eingerichtet haben, in der das Schicksal immer mehr ausgeschlossen wird.
Als ob der Mensch sein Leben tatsächlich durchplanen und dann ebenso durchführen könnte wie erdacht. Das wird immer dann deutlich, wenn im Leben etwas Unvorhersehbares passiert – das wirft uns meist sehr überraschend aus der Bahn.
Warum eigentlich?
Das Universum ist Veränderung- das gleiche gilt für das Leben auf diesem Planeten.
Alles verändert sich ständig und Sicherheit ist etwas nicht Existentes. Wir können Pläne machen und versuchen uns „abzusichern“, aber ob es Letzen Endes dann auch so funktioniert bleibt offen.
Insofern ist mir die Lebensansicht von Hilma af Klint sehr geläufig. Das hat mich ja auch so begeistert, als ich sah, hier sind die Bilder dazu, die unser SEIN beschreiben.
Da wir ja so vieles nicht wissen und nicht sehen können, sollten wir unseren Geist immer offenhalten – d.h. erst einmal die Arbeit an sich selbst, um alle engen Grenzen die wir uns selbst im Denken erschaffen, wirklich überwinden zu können. Ich sehe das als lebenslange Aufgabe.
Und so scheint es auch Hilma af Klint gelebt zu haben. Insofern ist das sicherlich in meine Arbeit eingeflossen, dennoch war mir am Wichtigsten Frau af Klints Weltsicht zu verdeutlich.
Dazu mußte ich eben auch noch eigene Bilder finden, die diese genialen abstrakten Werke, die die Welt jenseits des Sichtbaren zeigen, nicht stören.
Die Farben des Geistes in der Natur
Daher auch die Naturaufnahmen: Die Natur ist das einzige auf diesem Planeten, was der Mensch nicht erschaffen hat und auch sie unterliegt einer ständigen Veränderung bzw. Evolution und das heißt im Grunde, Weiterentwicklung.
Außerdem wollte ich zum Thema der Spiritualität, mithilfe der physikalischen Erkenntnisse von damals – die heut noch genauso gelten-, einen besseren Zugang ermöglichen.
Denn Wissenschaftler – gerade in Bezug auf die Quantenphysik – müssen einen starken Glauben ans Sein, ans Leben haben. Ansonsten würde ja niemand auf die Idee kommen, da mal nachzuforschen.
Ich finde es sehr beruhigend zu wissen, daß das was wir hier wahrnehmen und sehen nicht alles ist. Das ist enorm hilfreich, wenn man gerade mal wieder Formulare ausfüllen muß für irgendwelche Ämter oder man die neusten Nachrichten hört.
Das besondere als Filmemacher ist allerdings, das man es nicht ganz alleine macht und man hofft dabei auf „das Verstehen“ der kreativen Mitwirkenden.
Da habe ich großes Glück gehabt – etwas, was im Leben unerlässlich ist.
Ich brauche ja Menschen die möglichst verstehen, was wir dann gemeinsam kreieren. Aber die meisten waren gleich von diesem einzigartigen Werk begeistert.
Teil 2 unseres Gespräches mit Halina Dyrschka werden wir Mitte März veröffentlichen.
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Author: Esther Harrison