RUPRECHT VON KAUFMANN

und die drei Prinzen von Serendip

Ruprecht von Kaufmann, Der Stierkämpfer, 2019, Zeichnung, Kohle auf Papier, 210 x 100 cm
Ruprecht von Kaufmann, Der Stierkämpfer, 2019, Zeichnung, Kohle auf Papier, 210 x 100 cm

Ruprecht von Kaufmanns Gemälde, Zeichnungen und Mixed Media-Skulpturen stecken voller Spannung und vieler Anhaltspunkte, die unsere Fantasie entfacht und anfeuert. Als wir uns vor der Eröffnung seiner Solo-Show in der Kristin Hjellegjerde Gallery in London trafen, haben wir in einem anregenden Gespräch seinen Arbeitsansatz durch diese faszinierende Ausstellung näher beleuchtet und über die Bedeutung von „Zufall“ in der Kunst gesprochen

Der in München geborene, in Los Angeles ausgebildete und in Berlin lebende Künstler Ruprecht von Kaufmann ist bekannt für seine reichhaltigen Bilderteppiche und deren zahlreicher Bedeutungsspektren [die aus dem Inneren heraus auf zeitliche Abläufe hinweisen: skizzierte Linien, Untertöne machen sichtbar, wie das Werk entstanden ist bevor wir es vor uns sehen.]

Ruprecht von Kaufmann, photo credit: Oliver Mark
Ruprecht von Kaufmann, photo credit: Oliver Mark

Ruprechts Kohlezeichnungen sind wie die ersten Zeilen eines Gedichts oder eines Liedes, die unsere Augen sowie Gedanken schweifen lassen und unsere Vorstellungskraft dazu antreiben, die Szenerie zu ergänzen. Sie ziehen in ihren Bann, weil sie auf etwas hinweisen, das nicht durch Worte ausgedrückt werden kann, auf immaterielle Zwischenräume von Mysterien und Rätseln, die wir nicht genau lokalisieren können, die aber dennoch Teil unseres Lebens sind: Déjà-vu-Empfindungen, zufällige Begegnungen: Serendipität.

Inspiriert von der persischen Erzählung, die dieser Ausstellung den Titel „The Three Princes of Serendip“(„Die drei Prinzen von Serendip“) gab, ist diese Serie ein Palimpsest ihrer selbst und eine Ode an die Linie, Silhouette, Geste und Bewegung und wie diese mit sparsamsten Einsatz von Mitteln heraufbeschwört werden kann.

Weniger ist so viel mehr.

RUPRECHT VON KAUFMANN 2

Ruprecht von Kaufmann nimmt uns mit auf visuelle Reisen des Geistes und entwirrt Zeitfäden, die durch unsere Interpretationen neu verknüpft werden können.

Diese Zeichnungen stoppen den Betrachter im Fluss seiner Wahrnehmung.

Die Oberfläche des Papiers enthält selbst nackte Zeitlichkeit: Die Schnipsel und Löcher sowie die geschichteten Linien und Untertöne offenbaren, wie jede Zeichnung entstanden ist, während sie sich im Laufe der Zeit im Atelier des Künstlers veränderte.

Eine Linie oder ein Farbton führt wie ein Abpraller auf unerwartete Weise zur nächsten

Serendipität ist hier in den kreativen Prozess eingebettet; zufällige Begegnungen von Kohle mit dem Papier, während die Arbeit eine eigene Welt kreiert, über die wir staunen können.

Der Überraschungseffekt bleibt bestehen, wenn wir uns diese Werke in ihrer Tiefe und ihren Nuancen ansehen:

„The Three Princes of Serendip“ ist eine Must-See Show, die bis zum 22. Februar 2020 in der Kristin Hjellegjerde Gallery in London zu sehen ist.

Ruprecht von Kaufmann, Rüstung, 2018 Charcoal on paper 100 × 70 cm

Die Satanischen Verse

Gibt es eine bestimmte Situation, die dich dazu motiviert hat, Künstler zu werden?

Ich hatte nie vorgehabt, Künstler zu werden. Es war weniger eine bewusste Entscheidung als etwas, zu dem ich gekommen bin, nachdem ich das Unvermeidliche nicht länger umgehen konnte.

Als entscheidenden Moment würde ich das Lesen der satanischen Verse von Salman Rushdie bezeichnen.

Ich habe das Buch in der Bibliothek ausgeliehen, weil ich neugierig war, worum es in der Kontroverse ging und es hat meine Welt auf den Kopf gestellt.

Es war das erste Buch das ich gelesen habe, das mir eine völlig neue Welt eröffnete, eine Welt, die immer noch mit unserer verbunden war, in der aber seltsame Dinge passieren konnten, wie zum Beispiel, dass zwei Menschen aus einem Flugzeug stürzen und es schaffen zu überleben … Ich hatte das Gefühl, dass in der Kunst alles möglich sein könnte.

Ich wollte immer, dass sich Betrachtende meiner Gemälde so fühlt wie ich, als ich Rushdies Buch las.

Ruprecht von Kaufmann, Der letzte Akt, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 153 x 184 cm
Ruprecht von Kaufmann, Der letzte Akt, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 153 x 184 cm

Erde, Wasser, Luft, Feuer und Raum (space)… welches dieser Elemente würdest du in Bezug auf deine Praxis wählen und warum?

Eine merkwürdige Zusammenstellung hier: Der Raum scheint nicht zu diesem alchemistischen Verständnis der vier Elemente zu passen. Tatsächlich würde ich jedoch den Raum wählen, da er eine zentrale Rolle in meiner Arbeit spielt.

Die emotionale Wirkung meiner Arbeit, die unmittelbare Empfindung von Empathie, die sie erzeugen kann, ist für mich von entscheidender Bedeutung. Dies wird zu einem großen Teil durch räumliche Arrangements oder durch die Beziehung von Figuren zum umgebenden Raum in einer Komposition erzeugt.

In meiner Arbeit denke ich viel darüber nach, wie man Räume schafft und wie ein Gemälde oder eine Skulptur den Raum, in dem es gezeigt wird, verändern kann.

Zufall oder Vorahnung?

‘Es gibt keinen Zufall; alles ist eine Prüfung oder Strafe oder Belohnung oder Voraussicht.’ (Voltaire)

Die Geschichte der drei Prinzen von Serendip inspirierte auch Voltaires im Jahr 1747 erschienene Novelle Zadig. Die naheliegende Übersetzung im Französischen für „Serendipität“ ist „hasard“ im Sinne von etwas Unerklärtem und Unerwartetem, von dem Voltaire nicht glaubt, dass es existiert.

Wie verhältst du dich zu dieser Idee des Zufalls in deiner Arbeit und auf einer eher philosophischen Ebene im Leben?

Bei allem Respekt vor Voltaire, der einer der größten Denker war, die uns die Menschheit beschert hat, bin ich in diesem Punkt anderer Meinung, denn Vorahnung ist nichts, woran ich wirklich glaube. Auch wenn du glaubst, dass Dinge vorherbestimmt sind, kannst du über sie nichts wissen, weshalb sie willkürlich erscheinen müssen.

Das bedeutet, dass sie sich für uns zufällig anfühlen müssen, während wir sie erleben.

Ruprecht von Kaufmann, Mein Traum, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 20 x 20 cm
Ruprecht von Kaufmann, Mein Traum, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 20 x 20 cm

Ich denke, das Leben besteht primär aus ‚Zufällen‘, Begegnungen und, nun ja, Serendipität. Das ist das, was den kreativen Prozess wirklich interessant und unterhaltsam macht: wenn du an etwas arbeitest und dabei über neue Erkenntnisse stolperst.

Erst gestern habe ich ein Gemälde fertiggestellt, das ich dreimal stark verändert habe. Die vorherigen Versionen waren in Ordnung, aber sie fühlten sich nicht speziell oder ergreifend genug an.

Also habe ich die Arbeit immer wieder übermalt, bis ich einer Komposition gegenüberstand, die sich für mich schließlich richtig anfühlte.

Es war sicher nicht das, was ich ursprünglich geplant hatte. Das Fehlen von etwas Unerwartetem oder Unerklärtem in der Welt setzt voraus, dass Menschen vernünftige Wesen sind, aber das sind sie wirklich nicht.

Wir betrachten uns als rational, aber es wurde immer wieder bewiesen, dass wir nur unseren Instinkten folgen, die oft die Überreste einer Evolutionsgeschichte sind und nichts mit rationaler Entscheidungsfindung zu tun haben.

Wenn wir es wären, hätten wir inzwischen versucht, etwas gegen die Zerstörung unseres Planeten zu unternehmen. Das wäre rational.

Ich glaube auch nicht an die Existenz eines Schöpfers, der weiß und vorbestimmt, was unser Leben für uns bereithält. Falls es jemals einen gab, warf er höchstwahrscheinlich Steine einen Hügel hinunter und verlor das Interesse daran, die resultierende Lawine zu beobachten.

Ruprecht von Kaufmann, In the House,  2017, Öl auf Linoleum auf Aluminium, 200 x 750 cm
Ruprecht von Kaufmann, In the House, 2017, Öl auf Linoleum auf Aluminium, 200 x 750 cm

Die Autorität von Schwarz und Tom Waits

Hast du ein Gedicht oder ein Wort der Weisheit parat, dass Deine Vorstellungskraft anregt?

Ich liebe den Liedtext zum Song Black Wings von Tom Waits. So viele der Zeilen lassen in meinem Kopf Bilder von ganzen Gemälden aufblühen. Ich finde es fantastisch, wie offen der Text gehalten ist und wie wenig sicher es ist, worum es in dem Lied geht. Trotzdem fühlt es sich so an, als würde es um etwas kreisen, das ich „Wahrheit“ nennen würde – ein Begriff, der mit Sicherheit alle Arten von Diskussionen auslöst.

„Black Wings“

Take an eye for an eye
Take a tooth for a tooth
Just like they say in the Bible
Never leave a trace or forget a face
Of any man at the table
When the moon is a cold chiselled dagger
Sharp enough to draw blood from a stone
He rides through your dreams on a coach
And horses and the fence posts
In the midnight look like bones

Well they’ve stopped trying to hold him
With mortar, stone and chain
He broke out of every prison
Boots mount the staircase
The door is flung back open
He’s not there for he has risen
He’s not there for he has risen

Ruprecht von Kaufmann, Der Code, 2018, Charcoal on paper 100 × 70 cm

RUPRECHT VON KAUFMANN 11
RUPRECHT VON KAUFMANN 12

Well he once killed a man with a guitar string
He’s been seen at the table with kings
Well he once saved a baby from drowning
There are those who say beneath his coat there are wings
Some say they fear him
Others admire him
Because he steals his promise
One look in his eye
Everyone denies
Ever having met him
Ever having met him

He can turn himself into a stranger
Well they broke a lot of canes on his hide
he was born away in a cornfield
A fever beats in his head like a drum inside
Some say they fear him
Others admire him
Because he steals his promise
One look in his eye
Everyone denies
Ever having met him
Ever having met him

Ruprecht von Kaufmann, The Avant Garde, 2018, Charcoal on paper, 100 × 70 cm

‘Ich mag die Autorität von Schwarz. Es ist eine Farbe, die keine Kompromisse eingeht. Ein heftiger Farbton, der aber immer noch zur Selbstbeobachtung anregt, sowohl eine Farbe als auch eine Nichtfarbe. Wenn das Licht im Schwarz reflektiert wird, transformiert es dieses, wandelt es um. Es öffnet sein eigenes Feld der Wahrnehmung.’ (Pierre Soulages)

Im Licht und Anbetracht der Verwendung von Kohle in deiner Arbeit: Was erweckt die Farbe der Ton Schwarz für Dich?

Ein brilliantes Zitat… und amüsant, dass du deine Frage mit „im Lichte“ begonnen hast, denn Kohle ist natürlich der Gegensatz zu Licht. Schwarz ist kein Licht, sondern der Mangel an Licht, die Absorption von Licht und daher eine Nichtfarbe, da es – zumindest im Idealfall – keine Lichtwellen aussendet.

Wie so oft in der Malerei, ist das natürlich auch eine Illusion. Es gibt keine schwarze Farbe, die das gesamte Licht vollständig absorbiert.

Ruprecht von Kaufmann, The Old Fashioned, 2018, Charcoal on paper, 100 × 70 cm

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Und das macht es so faszinierend: Wie Schwarzweiß-Bilder Farbe erzeugen, weil wir sie in unseren Köpfen kolorieren. Da unser Gehirn abstrakte Markierungen auf einem Blatt Papier in eine bekannte Form übersetzt, entsteht das Bild im Gehirn des Betrachtenden, nicht auf dem Papier.

Schwarz und Weiß hat auch etwas mit der Geschichte zu tun: Wir sind es gewohnt, frühe Fotografien und Filme in Schwarzweiß zu sehen. Mit der Erfindung der Fotografie wurde die Welt in Schwarzweiß gesehen. Ich habe vor kurzem einen Dokumentarfilm mit frühen Farbfilmen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gesehen, und es war eine Überraschung, Bilder aus dieser Zeit in Farbe zu betrachten!

Welche Parallelen siehst du zwischen deinem Arbeitsprozess und Deiner Herangehensweise an die Skulptur und der Art, wie Du zeichnest?

Beim Zeichnen denke ich nicht in zwei Dimensionen. Für mich fühlt es sich an, als würde sich meine Hand im Raum um die Form bewegen, die ich zeichne.

In meinem Kopf gibt es ein „hinter der Form“.

Dasselbe gilt für die Skulpturen dieser Ausstellung. Die Linien, die von den Kanten der Schablonen „gezeichnet“ werden, werden um den Kopf herum gekrümmt und verschwinden hinter einer anderen Form, die in den Vordergrund der Form drückt.

Es ist also was meine Psyche angeht, ein sehr ähnlicher Prozess.

Ruprecht von Kaufmann, Die Alm, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 153 x 245 cm
Ruprecht von Kaufmann, Die Alm, 2019, Ölbild Öl auf Linoleum auf Holz, 153 x 245 cm

Wenn du etwas in der Kunstwelt verändern könnten, was wäre das?

Ich würde das Geld eliminieren. Das ist natürlich unmöglich, aber die Marktwerte von Kunstwerken verzerren die Wahrnehmung auf sie.

Wir werden schon so lange mit der Propaganda des Kapitalismus bombardiert, dass jegliche Wertschätzung von monetären Werten abhängt.

Der Kunstkritiker Robert Hughes wies in seinem Film „The Mona Lisa Curse“ darauf hin, dass er der letzten Generation ange-hörte, die ein Museum besuchte und beim Betrachten eines Kunstwerks nicht sofort dachte: „Was das wohl kostet?“

RUPRECHT VON KAUFMANN

THE THREE PRINCES OF SERENDIP

18 January – 22 Februar 2020

Kristin Hjellegjerde Gallery Ltd. | 533 Old York Road | SW18 1TG | London

 

Photo credit: Stefan Maria Rother and Kristin Hjellegjerde Gallery

Author: Alexandra Etienne