Die Malerei als schambesetzter Exhibitionist. Über diese Aussage von Eglė Otto musste ich erstmal eine Weile nachdenken. Wo ich das Element der Scham als typisch weiblich (er) kenne, ist der exhibitionistische Anteil wie eine Glaswand gegen die ich renne. Ich kann zwar durchsehen, kann es aber nicht greifen.
Was war es ganz konkret in der Malerei, das in dir dieses oben zitierte, sehr starke Bild und Gefühl ausgelöst hat?
Das Bild kam mir in den Sinn und beschrieb genau den Zustand zu dem Zeitpunkt. Da ist ein dringender Wille den Mantel zu lüften, etwas zum Vorschein zu bringen und gleichzeitig ist die Scham vorhanden, andere und sich selbst damit zu brüskieren. Ich mache auf, sage: „schaut her“ und dann drehen sich alle weg, und sagen: „igitt“.
Aber das ist spannend. Warum sagen wir „igitt“?
Mit der Frage geht schon ein riesiges Feld auf, was unsere Prägungen und Festschreibungen betrifft auf denen unsere Betrachtungen basieren. Die Scham die dabei mitschwingt, ist sehr wichtig. Sie lässt uns Grenzen einhalten und schützt uns vor Belästigung. Für mich stimmt an der Stelle beides: Du musst beim Malen die Hosen runterlassen, aber nicht unkontrolliert.
Wenn ich mir deine Arbeiten ansehe, in all ihrer physischen, somatischen Ballung, sehe ich das genaue Gegenteil von Scham, ja direkt hoch-stilisiert, all in, was ich fantastisch finde. Da ist alles da and then some. Aber eben vor allem keine Scham. Gleichzeitig wirkt es auf mich so als wäre das für dich auch ein save space, ja fast wie eine (weibliche) Komfort Zone.
Ich würde behaupten, Malerei ist per se kein save space, denn sie ist immer ein Ort der Kontroverse und Reibung. Schon das Malen an sich ist extrem konfliktreich.
Ganz im Gegenteil, es ist wichtig, dass sie ein Ort ist, wo man so richtig draufhauen kann.
Ist doch spannend, wenn alles zusammenkommt. Malerei ist vielfältig und lebt von den Ambivalenzen. Es wird ja niemand in echt verletzt bei der Kunst. Es ist nie persönlich. Das hat mich schon von Anfang an in der Kunst angezogen. Sie ist eine Disziplin, in der nichts festgeschrieben ist. Da gibt es keine Regeln und sehr präzise Regeln zugleich. Phantastisch! Ich bin schon erregt allein beim Nachdenken darüber. Hahaha… Genau dieses Phänomen ist im Titel meiner kommenden Ausstellung in Berlin enthalten.
Erzähl mir etwas zu dem Titel deiner Schau, wie findet sich der in deinen Arbeiten malerisch und gefühlstechnisch wieder?
Es gibt eine konkrete Malerei von mir, auf die ich lex mihi ars gekratzt habe. Damals habe ich nach etwas gesucht, das beschreibt, was mich an der Kunst interessiert und ihr immanent ist. Als ich dabei auf diese lateinische Phrase gestoßen bin dachte ich, Bingo: klingt wie, leck mich am Arsch, heißt aber übersetzt, die Kunst ist mir Gesetz. Ein schöner Ouroboros.
Du pendelst ja zwischen Hamburg und Berlin, kann man das so betiteln, Hamburg Familie, Berlin Malen? Wie wichtig ist Berlin in dieser Konstellation als Ort für dich als Frau und Künstlerin, oder ist das rein praktisch?
Der größte Teil meiner Familie lebt in Hessen. Meine Kinder und ich leben in Hamburg, wo ich auch arbeite. Für die gesamte Ausstellungsdauer werde ich in Berlin leben. Meine Mutter wird sich um die Kinder kümmern, das ermöglicht mir diesen längeren Aufenthalt. Ich freue mich sehr darüber 6 Wochen am Stück in dieser Stadt zu sein. Ich habe es allerdings nie als Mangel empfunden, als Künstlerin nicht nach Berlin gegangen zu sein, obwohl so viele meiner Kolleg*innen hingezogen sind. Ich denke man muss seine Arbeit so oder so gut machen, egal in welcher Stadt sich das Atelier befindet.
Ich habe gehört du wohnst über dem Renaissance Theater in Berlin, da drängt sich mir sofort ein Egles Bühnenbild auf, könntest du dir das vorstellen?
Ich liebe Theater. Am liebsten sitze ich mit meiner Schnauze fast schon auf der Bühne und inhaliere das alles.
Aber noch nie hatte ich dabei den Gedanken, dass ich gerne ein Bühnenbild machen würde. Ich mag Spezalist*innen und verbleibe entsprechend bei dem Vorsatz „Schuster*in bleib bei deinen Leisten“.
Du hast mit der Schriftstellerin Mirna Funk und der Journalistin Laura Storfner gleich zwei großartige Frauen der schreibenden Zunft an deiner Seite, die zum Opening eine Einführung geben werden. Wie ist das entstanden, wie ist dein Bezug zu den beiden und jeweils ihrer Arbeit?
Die Berliner Kuratorin Isabelle Meiffert hat Laura Storfner auf meine Ausstellung „this is not what Adorno was trying to say“ gebracht. Plötzlich hieß es, es sei ein Artikel auf Weltkunst Online erschienen und mir rutschte das Herz fast in die Hose. Schon während des Lesens bekam ich Schnappatmung und war bis auf weiteres begeistert.
Darum freue ich mich riesig, dass ich sie dafür gewinnen konnte, den Text für die Publikation, die anlässlich der jetzigen Ausstellung bei Ortner&Ortner rauskommen wird, zu schreiben.
Mirna Funk folge ich seit einer Weile auf Instagram und lese regelmäßig ihre Artikel in den Medien. Mit Mirna war es magisch, denn kaum hatte ich letztes Jahr den klaren Wunsch formuliert, sie gern persönlich kennen lernen zu wollen, hat uns das Schicksal im Borchardt zusammengeführt.
Es war Zufall. Ich hatte meiner Abendgesellschaft am Tisch gesagt, ich würde kurz eine rauchen und kam dann nicht mehr zurück, denn an einem anderen Tisch saß Mirna Funk mit einer gemeinsamen Bekannten. Wir wurden einander vorgestellt und der Austausch mit Mirna hat mich gleich wie ein Strudel eingesogen.
Seit dem Tag halten wir beide den Kontakt und Mirna wird eine Kurzgeschichte zu der Publikation beitragen, da bin ich schon sehr gespannt. Dass beide auch die Einführung machen finde ich großartig. Laura Storfner kommt aus der Kunstwissenschaft. Mirna Funk hat Philosophie studiert und als Schriftstellerin einen literarischen Zugang zur Kunst. Beide verbindet, dass sie sich mit dem Gender Diskurs befassen. Dieser Mix interessiert mich außerordentlich.
Last but not least, die weißen Stiefel, die du im Atelier trägst, sind das Original 80er?
Ja, original 80er. Super unbequem, weil die Absätze komplett runter gelaufen sind.
Aber immer, wenn ich den Schmerz in den Füßen nicht mehr registriere, weiß ich, ich bin ganz in der Malerei angekommen.
Eglė Otto
lex mihi ars
Eröffnung: 24.01.2019, 19 Uhr, Einführung: Mirna Funk und Laura Storfner
Ausstellung: 25.01. – 7.03.2019
Ort: O&O Depot Galerie, Leibnizstr. 60,10629 Berlin
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 16 – 19 Uhr und nach Vereinbarung
Führung mit Eglė Otto: 9. Februar, 15 Uhr
Author: Esther Harrison